Der 9. September ist der Tag des alkoholgeschädigten Kindes. Wir haben mit Elfi Jungbluth vom Caritasverband für den Oberbergischen Kreis über das Problem und die Folgen des Alkoholmissbrauchs in der Schwangerschaft gesprochen. Sie arbeitet bei der esperanza-Schwangerschaftsberatung in Gummersbach und steht mit ihrem Team Frauen und Familien zur Seite, die vor und nach der Geburt ihres Kindes einen Ausweg aus der Sucht suchen.
DiCV Köln: Warum ist Alkohol in der Schwangerschaft so gefährlich für das Kind, wieviel Kinder sind in Deutschland davon betroffen?
Elfi Jungbluth: Alkohol ist ein Zellgift, das Organe und Nerven des Kindes zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft angreifen kann, denn Alkohol gelangt durch die Nabelschnur ungehindert auf direktem Weg zum Kind. Dabei kann das Kind den Alkohol zehn Mal langsamer abbauen als die Mutter.
Das hat schlimme Folgen für das ungeborene Kind: Körperlich können Gehirn, Herz oder Nieren in Mitleidenschaft gezogen werden. Viele Kinder haben aber auch mit geistigen Schädigungen zu kämpfen – wie zum Beispiel erschwertes logisches Denken, verminderte Konzentrationsfähigkeit oder Verhaltensauffälligkeiten.
Pro Jahr kommen rund 10.000 Kinder mit FASD (Fetal alcohol spectrum disorders) auf die Welt – die Dunkelziffer liegt aber viel höher. FASD ist laut Fachleuten die häufigste angeborene Behinderung in Deutschland.
DiCV Köln: Deshalb Ihre Botschaft: absolute Abstinenz in der Schwangerschaft – kein kleiner Schluck!
Elfi Jungbluth: Ja, absolut – Verantwortung von Anfang an, denn zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft kann Alkohol dem Ungeborenen schaden. Und das manchmal ein Leben lang. Das kann man verhindern, indem man abstinent bleibt. FASD ist zu 100 Prozent vermeidbar!
DiCV Köln: Wieviel Beratungen führen Sie vor Ort durch - wie sieht die Hilfe durch die Caritas konkret aus?
Elfi Jungbluth: Wir führen im Oberbergischen Kreis durchschnittlich im Jahr rund 350 Beratungen in unserem Fachdienst esperanza durch. Davon erfolgen drei Viertel aller Beratungen in Deutsch ohne Dolmetscher. In sehr vielen Fällen wird ein Screening-Bogen genutzt. Damit wollen wir das Thema Alkohol besprechbar machen – immer im Rahmen von annehmender, diskreter Begleitung.
Es geht anfangs um eine Unterstützung der Frauen bei der Reduzierung. Langfristig ist natürlich das Ziel, ganz auf Alkohol während Schwangerschaft und Stillzeit zu verzichten. Betroffene Frauen, die sich outen, werden von esperanza engmaschig begleitet. Das passiert zum Beispiel im Rahmen der Einzel- oder Gruppenberatung, aber auch der aufsuchenden Arbeit.
Es herrscht auf jeden Fall enger Kontakt zur Suchtberatung bei uns im Haus. Auch sehr wichtig: Das Angebot ist freiwillig, die Betroffenen entscheiden über alle Hilfsangebote selbst. Unabdingbar sind dabei Vertrauen, Transparenz und Klarheit aller Beteiligten – gerade hinsichtlich des langfristigen Kindeswohls.
DiCV Köln: Ein Outing, das schwerfällt: Welche Rolle spielt die Scham?
Elfi Jungbluth: Scham spielt eine große Rolle, da das Thema Alkohol in der Schwangerschaft absolut verpönt ist. Deshalb haben wir uns überlegt, Ratsuchende über den angesprochenen Screening-Bogen zu erfassen, um niemand stigmatisieren zu wollen.
Es geht darum, dass sich die Frauen öffnen können – ohne Angst und Scham vor bösen Blicken und Urteilen. Unsere Erfahrungen zeigen, dass die Frauen ein großes Bedürfnis haben, endlich über das Tabu-Thema Alkohol im Rahmen einer sensiblen Beratung sprechen zu können.
DiCV Köln: Alkoholsucht ist ein grundlegendes Problem - geht die Caritas-Hilfe auch über die Schwangerschaft und Geburt hinaus?
Elfi Jungbluth: Ja, das stimmt. Die Schwangerschaftsberatung esperanza berät Frauen und Familien vor, während und nach einer Schwangerschaft. Das bedeutet: Für Betroffenen ist die Fortsetzung im Rahmen einer sensiblen Beratung, Begleitung und Unterstützung nach Geburt eine wesentliche Voraussetzung, um Kraft zu finden für eine Veränderung im Leben.
Nicht selten klappt dieser Neuanfang genau an der Stelle, an der die Frauen und Familien oft das erste Mal Verantwortung für einen neuen Menschen übernehmen müssen. Doch zu Anfang geht es erst einmal darum, erste kleine Schritte zu machen, wie zum Beispiel die persönliche Öffnung im Gespräch mit betroffenen Frauen. Das hilft und gibt Stärke für die ersten Veränderungen in die richtige Richtung.
Das Interview führte Marco Eschenbach.
Elternpraktikum „Babybedenkzeit“
Das Team von esperanza des CV Gummersbach BBZ führt seit über zehn Jahren an weiterführenden Schulen im Oberbergischen Kreis das Präventionsangebot „Babybedenkzeit“ durch. Jugendliche im Alter von 14 - 17 Jahren absolvieren im Rahmen des BBZ ein einwöchiges Elternpraktikum, bei dem sie einen realitätsbezogenen Einblick in ein Leben mit Kind erhalten. Seit sieben Jahren unterstützt auch die Suchtberatung die BBZ und sensibilisiert für Fragen zum verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol und Drogen bei jungen Eltern.
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